Ein Tod in Athen – das Rätsel um Herbert Amry (JMD quoted)

DONNERSTAG, 2. JULI 2015

Ein Tod in Athen – das Rätsel um Herbert Amry

Vor 30 Jahren, in den frühen Morgenstunden des 12. Juli 1985, starb Herbert Amry an einem Herzinfarkt. Der Tod des Diplomaten ist bis heute Anlass für Spekulationen. Kurz zuvor hatte er noch zu den Hintergründen der „Noricum“-Waffenaffäre recherchiert. Offizielle Dokumente lassen wenig Raum für Verschwörungstheorien. Zeitzeugen bestätigen jedoch, dass Amry bedroht worden war.

Athen, sieben Uhr abends am 11. Juli 1985: In seiner Residenz gibt der österreichische Botschafter Herbert Amry seinen Abschiedsempfang. Der 46jährige ist zu einem Karrieresprung ins Wiener Außenamt rückberufen worden. Über 200 Gäste sind gekommen – griechische Regierungsmitglieder, Diplomaten anderer Länder und Auslandsösterreicher. Es wird 23 Uhr bis alle gegangen sind. Dann setzt sich Amry noch mit einem Mitarbeiter zusammen. Man trinkt zwei Flaschen kaltes Bier, denn die Temperaturen in dieser Nacht sind subtropisch. Amry legt sich schließlich gemeinsam mit seiner Gattin hin. Im Bett liest er noch etwas, als er plötzlich im Bereich der linken Schulter Schmerzen verspürt. Eine starke Übelkeit kommt hinzu. Bald kann Amry nur mehr stoßweise atmen, woraufhin seine Gattin mit Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung beginnt. Schließlich verständigt sie den Vertrauensarzt der Botschaft. Zurück im Schlafzimmer findet sie Amry aus Bett gefallen und bewusstlos vor. Der bald eingetroffene Arzt veranlasst die sofortige Einlieferung ins Krankenhaus: „Es passierten dabei insofern mehrere Pannen, nämlich kam die Rettung sehr spät und wurde der Krankentransport mit einem alten und offenen Auto durchgeführt, so dass man die Beine ‚herausbaumeln‘ sah. Nach Eintreffen im Krankenhaus wurde Dr. Amry an die Herz-Lungenmaschine angeschlossen, jedoch diese startete erst beim dritten Versuch. Der Arzt teilte mit, dass Dr. Amry bereits klinisch tot war, als er ihn in der Residenz untersucht hatte. Er habe dies aber nicht der Gattin gesagt“, heißt es in einem Bericht der Staatspolizei.
Grab von Herbert Amry auf dem Hernalser Friedhof (Credit: Popmuseum)
„Iran sei Vertragspartner, daher Zahler und Empfänger“
Der plötzliche Tod von Herbert Amry war in jeder Hinsicht brisant: Das lag zunächst am Verstorbenen selbst. Amry war ein langjähriger enger Mitarbeiter von Bruno Kreisky, Leiter der Dienstrechtsabteilung des Außenministeriums, Generalkonsul in Istanbul und Botschafter in Beirut (1978–1981) und danach in Athen. Immer wieder hatte Amry besonders heikle Missionen betreut: So hatte er zum Beispiel zwischen 1983 und 1985 einen arabisch-israelischen Gefangenenaustausch verhandelt.

Nur knapp eine Woche vor seinem Tod wurde Amry in eine „große“ Sache verwickelt: Am 5. Juli 1985 kam der österreichische Handelsgesandte in sein Büro und berichtete darüber, dass ein iranischer Waffenhändler namens Hadji Dai bei ihm interveniert habe. Und zwar wegen ausgebliebener Provisionen in der Höhe von 6,9 Milliarden Schilling für die Lieferung österreichischer Kanonen und Munition an eine japanische Firma (in Wirklichkeit handelte es sich um ein iranisches Beschaffungsunternehmen). Dai drohte das Geschäft zu hintertreiben, wenn ihm und „seiner Gruppe“ die Summe nicht bezahlt würde. Amry galt als prinzipieller Gegner von Waffenexporten und hegte schon seit 1984 den Verdacht, dass die verstaatlichte VOEST Waffen gesetzeswidrig in den Nahen Osten lieferte.

Aufgrund der neuen Informationen begann Amry nachzuforschen und gelangte immer zur Ansicht, dass der Iran das Bestimmungsland des Kriegsmaterials war – und zwar über den Scheinadressaten Libyen. In vier streng geheimen Fernschreiben an das Außenministerium, die zwischen 5. und 11. Juli 1985 übermittelt wurden, teilte Amry seine Ergebnisse mit. Im ersten Telex meinte er noch kryptisch: „Ein zweiter Schiffsuntergang a la Lucona wäre sicherlich unerfreulich“. Das letzte Schreiben war schon erstaunlich präzise: „Was das Geschäft selbst anlange, sei dieses ein solches mit dem Iran, es sei mit dem Iran verhandelt worden und die Lieferung gehe dorthin. […] Libyen scheine weder als Zahler auf noch bekomme es die Ware. Iran sei Vertragspartner, daher Zahler und Empfänger.“ Amry hatte nicht nur mit dem VOEST-Vertreter in Griechenland gesprochen, sondern am 10. Juli 1985 auch mit dem Waffenhändler, der den Stein ins Rollen gebracht hatte: „Dabei habe ihm Dai seinen Provisionsanspruch zu erklären versucht und zusätzlich versprochen, die ihm (Dai) für die Richtigkeit seiner Angaben zur Verfügung stehenden Unterlagen (Papiere, Notizen, etc.) in einer für den 12. 7. 1985 vereinbarten weiteren Unterredung auszufolgen. Dazu ist es aber durch den plötzlichen Tod Dr. Amry’s nicht mehr gekommen“, fasste Staatspolizeichef Anton Schulz später zusammen.

Hintergrund: „Noricum“-Skandal
Zwei Jahre bevor der sogenannte „Noricum-Skandal“ öffentlich ausgebreitet wurde, hatte Amry einige der wichtigsten Fragen geklärt. Doch sein Tod führte dazu, dass die Spuren nicht konsequent verfolgt wurden und das Waffengeschäft weiterlief. Begonnen hatte alles 1981: Jordanien hatte bei der VOEST-Tochter „Noricum“ 200 GHN-45-Haubitzen, 221 Ersatzrohre, 5 Lafetten und 700.000 Granaten geordert. Die Waffen gingen aber in Wirklichkeit in den Irak, der im Jahr zuvor das Nachbarland Iran angegriffen hatte (Erster Golfkrieg 1980-1988). Die GHN-45 waren in diesem Konflikt von besonderem Interesse, weil diese mit einer Reichweite von 39 km die Schussweiten sämtlicher Konkurrenzprodukte übertraf. Nach entsprechenden Drohungen erwirkten iranische Unterhändler 1983, dass auch ihre Seite beliefert wurden – und zwar mit 200 GHN-45-Haubitzen im Wert von 16 Milliarden Schilling. Weil der Export in kriegsführende Länder nach dem österreichischen Kriegsmaterialexportgesetz verboten war, fand man eine andere Lösung, indem Libyen zum Schein als „Endverbraucher“ fungierte.
Gun Howitzer Norium (GHN-45) als Museumsstück (Quelle: Wkimedia Commons/Sturmvogel 66)
Amrys hektisch zusammengetragene Informationen änderten an diesem Umstand nichts. Das libysche Endverbraucherzertifikat wurde als ausreichend betrachtet, und das Iran-Geschäft ging weiter. Dennoch wurde das Waffengeschäft einige Wochen nach Amrys Tod erstmals öffentlich: Ende August 1985 hatten Reporter des Magazins „Basta“ im jugoslawischen Hafen Kardeljevo in einem angeblich für Libyen bestimmten GHN-45-Container Gebrauchsanweisungen in Persisch gefunden. Das Innenministerium zog nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Jänner 1986 die Exportgenehmigung zurück. Es wurde aber nicht verhindert, dass noch im Juni desselben Jahres eine Lieferung abging. Nach dem staatsanwaltschaftlichen Prüfbericht gab es auch später noch eine Reihe teilweise genehmigter, dann wieder zurückgezogener, großteils aber realisierter „Noricum“-Kanonengeschäfte mit dem Iran – mittels gefälschte Papiere für Brasilien, Argentinien und Thailand. Am 11. März 1987 verließ die letzte Tranche von 18.000 Granaten Österreich – damit hatte die VOEST unter den Augen der verantwortlichen Ministerien insgesamt 140 Kanonen, 120 Kanonenrohre und 80.000 Granaten an den Iran geliefert. Fragen nach politischer und strafrechtlicher Verantwortung wurden im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (1989/90) bzw. mehrerer Prozesse gegen Verstaatlichte-Manager und Ex-Politiker (1991-1993) geklärt.
Der Konstrukteur der GHN-45, Gerald Bull, wurde 1990 in seiner Brüssler Wohnung ermordet (Quelle: Autor)
„Eindeutig Tod durch Herzversagen“
Dass Amry ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt verstorben war, als er Wiener Regierungsstellen über den sich abzeichnenden Skandal zu alarmieren versuchte, machte die Angelegenheit sofort verdächtig. Dokumente aus dem „Noricum“-Gerichtsverfahren lassen jedoch wenig Raum für Vermutungen, Amry könnte gezielt zum Schweigen gebracht worden sein. Nachdem bereits Anfang August 1985 in „Journalistenkreisen“ solche Gerüchte kursierten, hatte Staatspolizeichef Schulz am 9. August 1985 einen erfahrenen Beamten damit beauftragt, „die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen“. Nach Rücksprache mit dem Außenamt erstellte jener Staatspolizist einen Bericht, der folgendermaßen schloss: „Betreffend der Todesart stellte der Arzt eindeutig Tod durch Herzversagen infolge eines Herzinfarktes fest. Keinesfalls konnten irgendwelche Symptome einer Vergiftung oder sonstigen Einwirkung, die auf einen gewaltsamen Tod schließen lassen würden, vorgefunden werden. Von einer Obduktion wurde nach Rücksprache mit Frau Amry Abstand genommen. Es bestand auch, wie schon erwähnt, keinerlei Grund, am natürlichen Ableben des Dr. Amry zu zweifeln. Nach der Überführung nach Wien, wurde der Leichnam des Dr. Amry der Feuerbestattung zugeführt, so dass eine etwaige Exhumierung zwecks nachträglicher Autopsie von vornherein ausfällt.“

Ebenfalls am 9. August 1985 sprach Innenminister Karl Blecha zwei Stunden mit Amrys Witwe und deren Tochter: „Beide Frauen haben dezidiert erklärt, dass es nicht den geringsten Beweis für ein Fremdverschulden beim Tod Dr. Herbert Amrys gäbe. Sie seien überzeugt, dass Herbert Amry einem Herzversagen erlegen ist, da er in den letzten Monaten häufig über Herzbeschwerden geklagt und ihnen die feste Absicht mitgeteilt habe, sofort nach seiner Rückkehr nach Wien eine gründliche Durchuntersuchung bei einem Herzspezialisten vornehmen zu wollen.“ Frau Amry erklärte auch, warum sie einer Obduktion nicht zugestimmt hatte: „Da dachte ich daran, dass fremde Menschen an meinem Herbert herumschnipseln werden, der eben unter meinen Händen gestorben war, und sagte nein.“

Der Vertrauensarzt, der Amry zuletzt behandelt hatte, schickte Anfang September 1985 ein vertrauliches Schreiben an die österreichische Botschaft: „Nach Bewertung aller o.a. Fakten komme ich zu dem Ergebnis, dass beim Ableben von Herrn Dr. Amry es sich um einen sog. plötzlichen Herztod, vermutlich infolge eines ausgedehnten Myocard-Infarkts handelt. Das gesamte Bild des Toten bzw. der Umstände gab nicht den geringsten Anlass, an eine ‚unnatürliche‘ Todesursache zu denken.“ Weiters erinnerte sich der Verwaltungsattaché der Athener Botschaft, dass sich Amry im Mai 1985 wegen „häufiger Herzbeschwerden“ Untersuchungen unterzogen hatte: „Der Arzt erstellte ein EKG und veranlasste auch ein Herzröntgen, deren Ergebnisse ihn veranlassten, Dr. Amry dringend eine Bypass-Operation zu empfehlen.“

Für Blecha gibt es auch heute noch keine Gründe, an einem natürlichen Tod Amrys zu zweifeln. Im Interview mit dem Autor betonte er 2011: „Ich habe mich sehr darum bemüht, alles zu erfahren. Der Herbert Amry hat Herzprobleme gehabt. Es war damals, an dem Tag, an dem er verstorben ist, eine extreme Hitze in Athen, die zu vielen Herztoten geführt hat. Dass eine Obduktion nicht durchgeführt wurde, ist für mich plausibel: Die Witwe hat mir geschildert, dass sie durch den Todesfall so erschüttert war, dass sie nicht zugestimmt hat. Dass hat ihr der österreichische Botschaftsrat auf Nachfrage bestätigt, dass man eine Obduktion verweigern kann. Das ist menschlich verständlich, aber deswegen hat es keine Obduktion gegeben. Es gab Untersuchungen, die vom Außenamt angeordnet wurden. Für uns war die Erklärung mit dem Herzinfarkt plausibel, weil der Herbert gesundheitliche Probleme hatte.“

„Pass auf, wenn Du ins Auto steigst“
Zweifellos stand Amry unmittelbar vor seinem Tod unter großem Druck. Ein Zeitzeuge, der dies bestätigt, ist Ferdinand Hennerbichler – zwischen 1983 und 1985 Presseattaché in der Athener Botschaft und danach Journalist in Zypern. Im Interview mit dem Autor erinnert sich Hennerbichler: „Wenige Tage, bevor Herbert Amry seinen Abschieds-Empfang in der Residenz des Botschafters in Athen gab, rief er mich in Zypern an und sagte: ‚Pass’ bitte auf, wenn Du ins Auto einsteigst, - schau` nach, bevor Du den Motor startest.‘ Ich antwortete, normalerweise würde ich immer unter das Auto schauen und manchmal auch die Motorhaube aufmachen, bevor ich den Motor anlassen würde. Aus Routine, wenn man auch Sicherheitsjobs mache wie wir. Ich fragte Amry, warum er mich warnen wolle. ‚Ich war gestern beim ‚Saudi‘‘, womit er in einem üblichen diplomatischen Slang einen Empfang in der saudi-arabischen Botschaft in Athen meinte. Bei dieser Gelegenheit habe ihn der saudi-arabische Botschafter zur Rede gestellt und förmlich gewarnt, Österreich solle aufhören, sich mit Waffenlieferungen in den Golfkrieg einzumischen. ‚Dann ist auch der Iraki zu mir gekommen‘, fuhr Amry fort. Der irakische Botschafter habe ihn beim selben Empfang ziemlich unverblümt klar gemacht, er habe gehört, dass ich mich nun auf Zypern aufhalte. Und er wolle ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass man auf Zypern leicht durch eine Autobombe ums Leben kommen könne. Ich habe Amry darauf am Telefon eine diplomatische Antwort gegeben, die ihn beruhigen sollte, dass ich auf mich aufpassen würde. Wir haben uns am Telefon nur noch in Floskeln unterhalten und vermieden, auf Details einzugehen. Ich kann mich aber erinnern, noch einmal kurz versucht zu haben, zumindest indirekt einen Hinweis auf Recherchen zu ‚Noricum‘-Waffenlieferungen in Golfkriegs-Staaten zu bekommen. Ich fragte Herbert Amry eher allgemein, ob es ‚in unserer Angelegenheit‘ noch etwas gebe. Er hat die Frage aber nicht beantwortet, sondern nur gemeint: ‚Danke. Ich bin sehr unter Druck. Wir sehen uns in ein paar Tagen. Dann besprechen wir alles Nötige.‘"

„Drohungen erhalten"
Auch der US-amerikanische Journalist und damalige Nahostkorrespondent, James Dorsey, bestätigt im Interview, dass Amry Drohungen erhalten hatte: „Herbert war ein Freund, und ich sah ihn noch am Abend seines Todes. Ich war eine der letzten Personen, die den Empfang in Athen spätabends verlassen hat. Einen oder zwei Tage früher hatte ich mit ihm zu Mittag gegessen. Ich kannte Amry aus der Zeit, als er Kabinettchef von Bundeskanzler Kreisky war, zu dem ich ein enges Verhältnis hatte. Kurz vor seinem Tode hatte mir Herbert noch erzählt, dass er Drohungen von einem iranischen Waffenhändler erhalten hatte. Als Konsequenz hatte er die Sicherheitsvorkehrungen sowohl rund um die Botschaft, als auch bei der österreichischen Handelsdelegation verschärfen lassen. Er spürte der Sache nach, dass österreichische Waffen über Libyen in den Iran gelangten. Amry war nicht nervös, aber er nahm die Sache ernst, wobei er sich mehr um seine Mitarbeiter, als um die eigene Person sorgte. Weil es dann keine Autopsie gab, haben viele Beobachter vorschnelle Schlüsse gezogen. Ob es ein natürlicher Tod oder ein Mord war, dafür gibt es keine Beweise – weder für das eine noch für das andere.“ Auch nach 30 Jahren ist Amrys Tod als ungeklärt anzusehen. Aufschluss könnten allenfalls Dokumente geben, die noch immer unter Verschluss gehalten werden – wie etwa ein Akt mit der Geschäftszahl 1383/10 – VI.1/86 „Botschafter H. Amry, Niederschrift“, den die Autoren Kurt und Max Tozzer im Archiv des Außenministeriums lokalisierten (vgl. Todesfalle Politik, 1999).

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